
Das „Seldschukische
Jagdhaus“ in Kemer (Teil 1)

Als wir
letztes Jahr (2005) aus der örtlichen Presse von einem wieder
entdeckten „Seldschukischen Jagdhaus“ in Kemer erfuhren, nahmen
wir uns sofort vor dieses zu besuchen. Endlich mal wieder
historische Ruinen in unmittelbarer Nähe! Das musste erkundet
werden, zumal die verfügbaren Bilder aus der Lokalzeitung,
grobrasterig gedruckt auf einer „Heidelberg“ mit biblischem
Alter aber in feinstem schwarz-weiß auf gräulichem Papier, mehr
verschleierten als sie offenbarten (man bedenke den herrlichen
Kontrastumfang, von der exzellenten Schärfe ganz zu schweigen).
Der Titel ließ eine Sensation vermuten und wenn richtig
seldschukisch (11. bis 13. Jh. AD), verhieß das auch richtig
alt. Nicht ganz antik, doch allemal würdig auf unserer Homepage
verewigt zu werden.

Gesagt
getan – Anfang Februar 2006 war es dann soweit und unsere
ersten Erkundigungen, wo dieses Kleinod sich befinden sollte, wurden
belohnt. Da den Seldschuken schon damals die gute strategische
Lage (ich komme später noch mal darauf zurück) bekannt war,
findet sich deren altes Gemäuer in unmittelbarer Nähe zum neuen
Jandarma-Hauptquartier an der Fernstraße gleich hinter der
Einfahrt Kemer 1 auf der rechten Seite. (neue Wegbeschreibung
hier) Dank der überaus fleißigen Abholzer, denn es
waren beileibe nicht nur kleine Büsche zu entfernen, wird man
diesem Bauwerk auch unmittelbar ansichtig, so dass man den
richtigen Weg wirklich nicht verfehlen kann, auch wenn (noch)
keinerlei Hinweisschilder existieren. Verwunderlich nur, dass
man dieses Bauwerk nicht eher entdeckt hat, etwa in Zusammenhang
mit dem Bau der neuen Kaserne (?). Im Gegensatz zu unseren
Bauersfrauen scheinen die „Neu-Kemeraner“ nicht sehr neugierig
zu sein. Vielleicht sind sie aber auch nur übersättigt vom
alltäglichen Anblick der mehr oder weniger alten „Klamotten“
über die man hier allgegenwärtig stolpert! Und jede neue "alte"
Ruine ist womöglich nur ein Hindernis für eine spätere
Verwertung des Grundstückes als kostbares Bauland.

Doch nun
genug der Vorworte und hinein ins Abenteuer. Als wir uns nähern,
erkennen wir einen etwa quadratischen Turmbau, der umgeben von
einer Mauer mitten im Wald an einem leicht abfallenden Hang
steht. Diese überragt er mit ungefähr doppelter Höhe. Bei
weiterer Annäherung ist erkennbar, dass er nicht mittig im
Mauerngeviert (ca. 15x15 m) angeordnet ist. Auffällig wegen
ihrer differierenden Farbe und Formgebung sind verbaute Steine,
die kaum aus ein und derselben Entstehungsperiode stammen
können. Das beflügelt nun unsere Neugier ungemein.

In die
vordere Mauer ist ein Durchgang gebrochen worden, der einen
ersten Blick ins Innere der Anlage freigibt. Einen ehemals
regulären Eingang können wir nicht entdecken. Möglicherweise hat
auch keiner existiert und die Mauer (ca. 3 m hoch) musste
mittels einer Leiter überquert werden. Nach einem ersten
oberflächlichen Rundumblick, der mehr einen wüst durchwühlten
denn systematisch erkundeten Innenraum offenbart, nähern wir uns
einer Türöffnung in der Außenmauer des turmartigen Gebäudes. Der
steinerne Sturzbalken ist mit einer angedeuteten Verzahnung
verziert (nicht wirklich ausgeführt), wie wir sie z. B. von der
großen Moschee in Edirne her kennen. Dort äußerst kunstvoll und
paßgerecht in Marmor gehauen und geschliffen, garantiert
erdbebensicher verzahnt. Aber auch allein diese Andeutung läßt
darauf schließen, dass die Baumeister zumindest Kenntnis von
solchen technischen Möglichkeiten hatten. Der verwendete
Kalkstein ließ solches Vorgehen jedenfalls nicht zu, ganz zu
schweigen von den nicht verfügbaren Techniken und Fachleuten.

Beim
Betreten des Turmes finden wir das bereits beschriebene
Grabungschaos vor. Alles wirkt wie wild und hektisch umgewühlt.
Ob man wohl eiligst nach Schätzen gierte!? Entschädigt wird
unser Blick durch das sehr filigran ausgeführte
Spitztonnen-Gewölbe aus sauber gefügten Ziegeln, welches
aufgrund des quaderartigen Umrisses von außen nicht zu vermuten
gewesen war. Als Kenner mittelalterlicher Backsteinbauten sind
wir einigermaßen überrascht und bestaunen die Ausführung. Es
überdeckt die volle Länge und Breite des Raumes (ca. 4x6m), natürlich
abzüglich der mächtigen Außenmauern mit immerhin 1 Meter Dicke.
Als wir die regelmäßig angeordneten Schießscharten darin
bemerken, kommen bereits erste Zweifel an ein „Jagdhaus“ in uns
auf. Was für gewaltige Tiere mögen das wohl gewesen sein, die
man einerseits bejagen wollte, andererseits aber mit gewaltigen
Mauern abwehrte? Diese Theorie war zutiefst erschüttert und wir
glauben sie bis jetzt nicht! Selbst zur seldschukischen Zeit
dürften solche nicht (mehr) existiert haben, auch aus alten
Mythen her bekannte Fabelwesen sollten nach unserer Meinung
nicht in Betracht kommen, wohl aber von Menschenhand erbaute
mauerbrechende Waffen! Das spiegelt natürlich die herausragende
Bedeutung dieses eher unscheinbaren Gebäudekomplexes wieder. Wir
hoffen unsere Bilder vermitteln einen entsprechenden Eindruck.

An der linken Ecke des Turmes
befinden sich zwei kleinere Räume ( je ca. 2x2m), die ebenfalls
mit Tonnengewölben als Decke überwölbt werden. Eine hat sicher
als Kochstelle gedient und verfügt, wie wir später sehen, über
einen Kamin, der bis auf das Dach hinauf reicht. Es ist wohl der
ehemalige "Sanitär-Küchentrakt". Zusammen mit dem Hauptraum eine
praktische Anordnung. Beide Räume sind außerhalb des
Turmgrundrisses angeordnet worden, verfügen über Schießscharten
und bilden einen Teil der hangseitigen Außenmauer. Aufgrund des
über die Jahrhunderte auf dieser Seite niedergegangenen Gerölls
liegen diese heute auf "Bauchhöhe".

Aber die
Wunder gehen weiter. Auf der gegenüberliegenden Seite erkennen
wir in der hinteren rechten Ecke eine Maueröffnung, in die von
oben fallendes Licht scheint. Ein Aufgang? Also nichts wie hin
und siehe da, es ist einer, der über ein etwa 1m hohes
Podest auf eine Treppe nach oben führt. Der Aufgang ist schmal
und konnte dadurch wahrscheinlich leichter verteidigt
werden. Auch hier martialische Schießscharten, die uns einen
Blick über die Außenmauer ermöglichen. Innen sind sie groß genug
um mit Pfeil und Bogen agieren zu können. Außen weisen sie etwa
60 cm Höhe bei ca. 10 cm Breite auf. Überall sind in den Wänden
Einlassungen zu sehen, die wohl dem Einbau von Zwischendecken
und/oder beweglichen Verschlüssen gedient haben mögen. Zu sehen
ist davon nicht ein Krümelchen mehr, wir finden es aber wiederum
erstaunlich, dass es keinerlei Spuren von „Kannibalismus“ in der
Form von wilden Entnahmen von Bausteinen gibt, ein Schicksal
welches viele antiken Stätten rund um Antalya ereilte z. B. auch
Phaselis!

Der Blick
nach oben läßt uns den Atem stocken. Die Decke des
Treppenaufganges besteht aus wunderbar exakt dreidimensional
gehauenen Steinen, die auf monumentalen Längsträgern
positioniert sind und eine Art künstlichen Himmel (Baldachin?)
bilden. Zu zweien gepaart, im exakten Winkel aneinandergereiht
und sehr sauber gefügt (natürlich ohne Mörtel!) überspannen sie
den etwa 80 cm breiten Treppenaufgang, der entgegen heutigen
örtlichen Gepflogenheiten aus gleich hohen Stufen besteht. Für
die überaus gute Stabilität dieser Bauweise spricht, dass fast
keine Risse oder Verwerfungen sichtbar sind, obwohl es ja auch
in unserer Region regelmäßig Erdbeben bis zur Stärke 6 gibt. Die
Art der Ausführung erinnert uns einerseits an die kunstvollen
Deckensteine von Portalen in Moscheen oder den steinernen
Baldachinen der Altäre und Joe auch etwas an die sehr massiven
Treppenaufgänge in russischen Atombunkern. Auch diese hier
würden selbst den Beschuß mit schweren Kalibern überstehen,
versichert er mir eilfertig! Die gesamte Konstruktion stärkt in
uns eher den Eindruck einer bunkerartigen Kasematte denn einer
„Jagdhütte“. Auch an die sogenannten „befestigten Wehr-Kirchen“
in Nordfrankreich aus dem 17. Jahrhundert fühlten wir uns
erinnert, um einen zeitgemäßeren Bezug wieder herzustellen.

Die Treppe
hinauf gestürmt und alles bleibt friedlich, denn oben auf der
ebenen Plattform erwartet uns eine im hellsten Sonnenschein
liegende herrliche Blumenwiese. Umsäumt wird das ganze von
kleinen Büschen und anderen Mauerblümchen, die hier ungestört
wachsen konnten. Auch lassen sich weder in den Mauern aus
massiven Quadern Risse entdecken noch Senkungen im Boden des
Daches, der bestimmt bis zu zwei Meter dick über dem
Backsteingewölbe liegt. Ein Rätsel für uns, wie dieses eine so
enorme Last so lange Zeit vollkommen unbeschadet trägt. Wir
lassen den Blick schweifen und durch die Bäume hindurch erkennen
wir das Meer in der Bucht von Kemer und wir können erahnen
welch gute strategische Lage dieser Punkt hat. Einerseits konnte
man (natürlich ohne Wald und Betonburgen) die Bucht sehr gut
überblicken und war andererseits weit genug weg um nicht von
Schiffen aus angegriffen zu werden. Ein idealer Vorposten also.

Dann folgt
eine mehr als merkwürdige Entdeckung. Auf der westlichen Seite
des Innenhofes liegen in einem unvollständig gegrabenen Loch
zwei schlanke Säulen und auch einen weiteren behauenen Stein
entdecken wir. Alles macht auch von oben den Eindruck einer
„wilden“ ungeplanten und nicht fertigen Grabung (Vermutung s.o.!!).
Nun aber flugs hinab und nachgesehen.

Was wir
sehen entspricht vollständig unserer Annahme: Nämlich, dass hier
bereits vor dem „seldschukischen“ Bauwerk etwas gestanden haben
kann.
Die sehr genau gearbeiteten Säulen (ca. 50 cm Durchmesser und
etwa 4 m lang) stammen eindeutig aus einer früheren Periode.
Zusammen mit dem, sagen wir mal „Dachkantenstein“, können wir
uns durchaus einen kleinen Tempel vorstellen. Vielleicht findet
man mit etwas Gespür in den Mauern weitere Relikte dieses
Bauwerks. Wir können uns auch vorstellen, dass systematische
Grabungen weitere Ergebnisse zu Tage fördern.

Aus
unserer Kenntnis heraus lassen sich mehrere Interpretationen
finden:

-
An
diesem Punkt entsprang eine Quelle, die zur örtlichen
Versorgung und auch zur Auffüllung von Schiffsreserven diente.
Einerseits verehrt mit einem Tempel, andererseits verteidigt
mit mächtigen Mauern, jedenfalls ein bedeutsamer Ort in dieser
Gegend
-
Wie wir
aus Gesprächen mit Einheimischen wissen, soll es auf dem
Hausberg von Kemer auch Ruinen (alte Festung?) geben. Dieses
Bauwerk würde dann als Vorposten Sinn machen. Genaueres wird
wohl nur die eigene Erkundung ergeben.
-
Wie man
weiß, hieß der antike Ort auf dessen Mauern Kemer errichtet
wurde Idyros. Leider sind wegen der ungebremsten Bauwut nur
noch wenige kleine Ruinen erhalten. Auch zu diesem Gemeinwesen
könnte ein solches Bauwerk gehört haben

Soweit wir
bis heute (Februar 2006) wissen, scheint jedoch noch kein echtes
archäologisches Interesse aufgekommen zu sein. Bei unserem
nächsten Besuch im Museum von Antalya werden wir deshalb
vorstellig werden. Die örtlichen Honoratioren jedenfalls
scheinen noch zu schlafen, wie schade. Allerdings gibt es
Gerüchte, hier solle ein Touristen-Restaurant in das alte
Gemäuer eingebaut werden. Vielleicht mit Wildschweinbraten am
Spieß, um den Charakter einer Jagdhütte zu verstärken?

Noch ein
kleiner Nachsatz:

Bei
näherer Überlegung erscheinen uns die eher schmächtig wirkenden
Umgebungsmauern dem baulichen Aufwand des Turmes bei weitem
nicht angemessen. Das freitragende Gewölbe entspricht für uns
auch mehr einem Sakralbau. Vielleicht filtern wir aus den Fotos
noch Reste einer denkbaren Innenbemalung heraus. Es bleiben also
Rätsel über Rätsel und Langeweile kann nicht aufkommen!

Heute (03.03.2006) haben wir im
Museum von Antalya mit einem leitenden Angestellten über dieses
Thema gesprochen. Er selber kannte diesen Ort nicht und er
konnte auch keinen damit vertrauten Mitarbeiter auftreiben. Aus
diesem Gespräch ergab sich jedoch recht schlüssig, das es sich
um die erste Herberge in Kemer handelt. Der Club-Med ist damit
nur noch zweiter Sieger. Die zu seldschukischer Zeit sehr
wildreiche Gegend wurde von den damaligen Herrschern gern zu
ausgiebigen Jagden genutzt. Um standesgemäß und vor Allem sicher
übernachten zu können wurde dieses Anwesen errichtet. Der
vorgefundene Grundriss lässt auf getrennte Bereiche für Herrscher
und Jagdgesinde schließen. Ob es wohl doch nur ein sicheres
Jagd-Refugium a'la Hubertusstock war? Es spricht nunmehr
einiges dafür.

Da auch das Museum leider nicht weiß, wie es mit diesem
architektonischen Kleinod weitergehen soll, werden wir uns
demnächst an den "Kreisvorsteher" der Region Kemer wenden, denn
es muss in jedem Fall erhalten bleiben.

Im Oktober 2007 haben wir uns
wieder mit dem seldschukischen Jagdhaus beschäftigt, lesen Sie
dazu diese
neue Seite. |