
Den Ağva-Canyon
hinab – ein einmaliges Erlebnis!

Prolog:

Wie die
Leser dieser Homepage inzwischen wissen gibt es in unserer
näheren Umgebung nicht nur das Meer (meistens "badewannenwarm",
manchmal aber überaus stürmisch) sondern auch ein steil
aufragendes Hochgebirge, den westlichen Taurus. Dieser hält mit
seiner majestätischen Größe und Schroffheit immer wieder jede
Menge Überraschungen bereit, nein nicht Lawinen oder
Gletscherabgänge, dafür Wasser in ungeahnten Mengen, unreguliert
und immer wieder auch mal flutartig herabstürzend. Dessen nicht
enden wollenden Quellen, gespeist aus kaum vorstellbar großen
Karsthöhlen, bilden seit abertausenden von Jahren die Grundlage
für alles Leben in dieser Region und somit auch die unsrige!

Da ich, Joe,
von der Ostseeküste stammend, als "Flachlandtiroler" schon seit
Langem ein Faible für Berge habe und dort auch sehr gerne
wandern gehe, kam mir bereits vor einiger Zeit die Idee den Ağva
(sprich Aawa), unseren Fluss vor der
Haustür, mal näher zu erkunden, denn hier verfügbare
Informationsquellen fließen nur spärlich (halt "damla
damla gibi"
- Tröpfchenweise). Die große Flut vom Oktober 2006 (wir haben
ausführlich berichtet, klick hier) war dann der unmittelbare Anlass dieses Projekt
mit Leben zu erfüllen. Wir wollten doch wissen, wo die vielen
großen Baumstämme hergekommen waren, die sich schließlich in
Camyuva am Strand häuften. Noch
verheerender hatte im Dezember 2003 eine Flut gewütet und in
unserem Dorf sogar einige Häuser mit ins Meer gerissen. Aber da
wohnten wir noch in Deutschland und unser Haus war nicht
betroffen. Der letzte Winter (2006/07) war dagegen ausgesprochen
regenarm und hat mit seinem niedrigen Wasserstand letztendlich
zum späteren Erfolg der Aktion beigetragen.

Doch nun der
Reihenfolge nach, so wie auch die
Bilder der Diashow angeordnet
sind.

Die ganze
Sache wird konkret als wir uns im Dezember 2006, so etwa zwei
Monate nach der Flutwelle, mit dem Auto auf den Weg machten, um
über die Yayla-Kuzdere den
Tahtali zu umrunden. Das war uns,
angesichts der Straßenlage, sofern man überhaupt von Straßen
sprechen kann und unter Berücksichtigung der begrenzten
Möglichkeiten unseres Autos, jedoch nicht vergönnt, woraufhin
wir unser Ziel dahingehend änderten, den Oberlauf des Ağva
zu besuchen.

Dazu musste
Ina das Auto erst mal über 100 m im Schlamm zurücksetzen, das
heißt fluchend bergab rutschen, in einer Art Bachbett wenden und
wieder nach Gedelme fahren. Von dort
fuhren wir auf der alten Verbindungsstraße hinunter in Richtung
Kuzdere. Die ersten Kilometer waren
noch sehr annehmbar, auf glatter Schotterpiste ging es sanft
bergab. Die Aussicht auf die Landschaft war begrenzt, doch der
in Saft und Kraft stehende grüne Hochwald, der unseren Weg
säumte, ließ in uns so eine Art "Schwarzwald-Gefühl" aufkommen.
Die Warnungen eines Ziegenhirten (Yol
bozuk!) wurden in den Wind
geschlagen und nach ein paar Kilometern abwärts hatten wir den
"Salat". Die Flut hatte ganze Arbeit geleistet und die Brücke
über einen Nebenfluss des Ağva
nicht nur in mehrere Teile zerlegt, sondern auch noch um und um
gedreht. Doch die Jeep-Tours hatten
daneben schon so etwas wie eine Furt gebahnt, da ging es dann
ganz langsam durch. Aber nur etliche Meter weiter fehlten an
einem Abhang doch wesentliche Teile der Fahrbahn, dafür lagen
dicke Steine und Baumstämme in der Spur. Na, hier war kein
Weiterkommen mehr, Fotostopp und mit einem freundlichen Winken
für den netten Ziegenhirten wieder zurück, bis rauf nach
Gedelme. Danach weiter auf der neuen
Straße bergab in Richtung Kuzdere.

Nun wollten
wir es natürlich wissen und sind am anderen Ende (Abzweig "Alte
Römerbrücke") die alte Verbindungsstraße
Kuzdere-Gedelme wieder bergan gefahren, mit der Absicht
die zerstörte Brücke und die abgerutschte Fahrbahn vom anderen
Ende her zu erreichen. So nach etwa 8 Kilometern hatte uns das
Schicksal wieder eingeholt. Die große Brücke über den Ağva
war einfach "w" wie weg. Nur die erbärmlichen Reste des
Durchlassbauwerkes standen, abgeschnitten von beiden Ufern,
traurig und nutzlos mitten im nur noch aus Geröll bestehenden
Flussbett. Nichts zu machen, die andere Brücke blieb
unerreichbar. Keine Ahnung wie viele Kilometer und Hindernisse
noch dazwischen liegen. Ich habe dann die Umgebung fotografiert
und dabei sinniert, wie es wohl abwärts des Flusslaufes aussehen
könnte. Von oben hatten wir ja schon einige Details seines
Verlaufes gesehen und auch in diesem Abschnitt sah er, wie auch
im von unten begehbaren Teil, doch mehr gemütlich aus. Na, es
war Winter mit hohem Wasserstand, also etwas für später aber
immerhin "gebucht". Warum sollte man hier nicht auch
Canyoning wie in der Schlucht von
Göynük machen können?

Ende erster
Teil, der Plan steht.

Die nächste
Etappe der Erkundung startete im Februar 2007. Zusammen mit
einer Gruppe aus Deutschland hatte ich eine Wanderung geplant:
Zu Fuß die alte Straße bergan und dann über das Flussbett wieder
zurück. Die Straße war ja nur zum "Warmwerden" gedacht und den
Weg zurück hatten ich mit Google-Earth
so auf etwa 4-5 Kilometer ausgemessen (ohne nähere Details sehen
zu können). Gesagt getan, Ina brachte uns mit dem Auto zum
Abzweig an der alten Brücke. Das Wetter war optimal, auch hatte
es einige Tage vorher nicht geregnet, und schon ging es los. Gut
gelaunt und immer noch munteren Schrittes erreichen wir nach
knapp 2 Stunden die zerstörte Brücke. Da sah man es schon, im
Flussbett gurgelte doch ein richtiger kleiner Fluss, mehr Wasser
als noch im Dezember. Nach einer kurzen Pause nahmen wir den
Abstieg in Angriff. Den ersten Kilometer kamen wir, die Seite
des Flusslaufs immer wieder wechselnd, ganz gut voran. Später
mussten wir wegen des hohen Wasserstandes und der niedrigen
Temperatur, etliche Male mühselig über die Seitenhänge kraxeln.
Bis wir einen Abschnitt erreichten, den man nur im Wasserlauf
hätte folgen können, ja wenn … . Wir
beschlossen umzukehren, da wir erkennen mussten, dass diese
Stelle nur bei extrem niedrigem Wasserstand und angenehmeren
Temperaturen, also im Sommer, zu passieren wäre. Schade, wieder
ein Traum geplatzt, nein, denn ehrlicherweise muss ich sagen,
dass uns die Natur in ihre Schranken verwiesen hat!
Doch Bange
machen gilt nicht, der noch versperrte Weg ist so wild
romantisch, urig, verlockend und viel versprechend, also werde
ich auf jeden Fall wiederkommen und vielleicht doch noch meinen
"deal" mit Mutter Natur machen und ihr ein paar Geheimnisse
abluchsen.

Ende zweiter
Teil, so eine Art Intermezzo.

Der Sommer
2007 ist lang und überaus trocken. So sehe ich, bei sinkendem
Wasserstand, meine Möglichkeiten steigen, den Ağva
zu bezwingen. Inzwischen ist Inas jüngerer Sohn (25) zum Urlaub
machen eingetroffen und im Zuge der Vorbereitung, die ich immer
weiter vorangetrieben habe, wurden Schutzhelme und Wasserschuhe
besorgt. Nach ein paar Tagen der Eingewöhnung mal so ein
richtiges Abenteuer für einen "Monitor-gebräunten"
Stubenhocker, denke ich so ganz beiläufig.

Der dritte
Teil beginnt, nun wird es richtig ernst.

Es stehen
nun 110 Kg gegen 70, doch oh Wunder, weder Muttern noch der
Knabe widersetzen sich meinen Verlockungen auf ein Abenteuer und
der Plan wird Realität. Bei geschätzten 2,5 Stunden bergab
entlang eines gemütlichen Wasserlaufs (4,25 Km) und mit
Auto-Anfahrt bis an die zerstörte Brücke scheinbar ein
Kinderspiel, so meine Vorstellung. Also gut gefrühstückt
(natürlich etwas später, sonntags halt), Rucksack gepackt, Handy
geprüft und es geht los. Ina fährt uns den Berg rauf, so sparen
wir den ersten anstrengenderen Teil der Tour (denke ich). Sie
wird zu Hause am Telefon auf unseren Anruf warten und uns dann
unten, hinter der alten Brücke, wieder abholen.

Der
Wasserstand, optimal niedrig, an der kaputten Brücke ist kaum
ein Tropfen zu sehen, dann später Rinnsale, die sich vereinigen,
ungefährlich. Andererseits hat man es nun mit der Temperatur zu
tun. Am Beginn etwa um 35 Grad im Schatten, so man welchen
findet, doch eine leichte Brise gibt Hoffnung. In der Sonne
brennend heiß, die Steine auf etwa 70° "angewärmt" und auf dem
Weg abwärts gibt es auch keine Wahl, denn der begehbare (kletterbare)
Teil der Strecke ist sehr oft sonnendurchflutet, natürlich "mit
ohne Wind".

Der Anmarsch
im flach abfallenden Flussbett entspricht noch dem gedachten
Kinderspiel und die Stelle der Umkehr vom Februar wird schnell
erreicht. Hier hat sich die Situation nun gewendet und um
vorwärts zu kommen muss man über die Felsen tief hinab, um das
Wasser zu erreichen. Nach dem Passieren der ersten Steilwände
tut sich uns ein atemberaubender Blick auf. Das Wasser
verschwindet im Berg und wir folgen ihm rasch. Immer enger wird
die Schlucht und schließlich stehen wir in einem engen
Durchlass, der danach zu einem Tunnel wird. Hier pfeift ein
kühler Wind, wir verschnaufen und genießen das Schauspiel aus
Wasser, Licht und Schatten sowie den Felsgruppierungen hoch über
uns. Ja, das ist's was wir erhofft und nun auch erreicht hatten.
Das ist Canyoning! Nach der nächsten
Biegung, leicht zu begehen, sehen wir senkrecht aufragende
Felswände im hellen Sonnenschein. Überwältigende Kontraste, die
selbst mit einer guten Kamera kaum zu erfassen sind.

Dann folgen
unzählige schwer zu überwindende "Katarakte", die trotz
niedrigem Wasser umgangen werden müssen. Die ersten Flüche sind
zu hören, die Zahl der Schrammen vom Gestrüpp nimmt zu, doch
einen, noch günstigen, Punkt zur Umkehr lassen wir hinter uns.
Gerade als ich meine, dass wir das Schlimmste nun wohl geschafft
hätten, tauchen urwüchsige Felsen in der tiefen Schlucht auf und
die Plackerei geht von vorn los. Links, rechts, hoch, runter, wo
geht’s lang, renn nicht so, hilf mir mal, ist noch Wasser da, na
ein Bisschen, drei Stunden sind um. Es ist als hätte hier ein
Riese mit tonnenschweren Kugeln Billard gespielt und nie ein
Loch gefunden. So gibt es neben rauf und runter Klettern auch
kriechen, zwängen und schlängeln. Im Anflug einer ersten Krise
rasten wir und erfrischen uns mit kaltem Wasser. Wozu so ein
Schutzhelm nicht alles gut ist.

Das Handy
funktioniert (kein Funkloch, wo gibt es das sonst noch?) und wir
melden uns mal bei Ina, die uns jetzt eigentlich schon erwartet
hat. Na, vielleicht noch eine gute Stunde und wir sind unten,
wird durchgesagt. Wunsch komm raus du
bist umzingelt! Ja, das stimmt natürlich, wir sind umzingelt und
Juniors Vorschlag doch nach oben auszuweichen, verpufft nicht
nur wegen der Hitze, sondern auch der Aussichtslosigkeit wegen.
Also vorwärts, das ungewünschte Abenteuer ruft!

Unser
Trinkwasser ist alle und um Stunde fünf immer noch nur ein
Felsbrocken neben dem Anderen. Das Bachwasser trinken wir lieber
nicht, wer weiß, was da so alles rein läuft. Endlich kommt eine
Strecke, der man komplett im Wasserlauf folgen kann oder links
und rechts auf flachen Sandbänken. Es taucht rechterhand eine
Felsnadel auf und daneben einige Wasserlöcher, die Wildschweinen
als Suhle dienen. Da gibt es nur eines, ab in die Fluten,
natürlich in voller Montur. Bloß gut, dass der Fluss noch genug
Wasser hat. Das weckt die Lebensgeister, der Kreislauf tourt ab
und der Mut zum Weitergehen wächst. Dann kommt so richtig
Hoffnung auf und das obwohl der Mund weiterhin trocken ist und
die Koordination nur noch eingeschränkt funktioniert, wir sehen
ersten "Wohlstandsmüll" in Form von Büchsen (wäre doch zu schön
jetzt so ein Efes zu schlürfen) und
Plastikflaschen. Die Grenzen der Belastbarkeit sind erreicht,
wenn nicht überschritten. Ina angerufen: "We
are still alive!",
einen Sixpack Wasser bestellt, "fahr
los und hol uns heim!" Wir taumeln an den einheimischen "Picknickern"
vorbei, die uns behelmten und klitschnassen „Traumtänzern“
fassungslos nachblicken. Die neue Parkplatzbarriere aus großen
Steinen in Sicht, noch mitten zwischen Ausflüglern und "cöp"
zu Hauf, taucht Ina als rettender
Engel auf. Ja, wir haben es geschafft und als ich Ina frage, wie
spät es denn sei, 17:30 Uhr, wird mir klar, wer in den
vergangenen sechs Stunden wen besiegt hat. Mein besonderes Lob
gilt dem Sportsgeist und dem Durchhaltewillen von Thomas. Das
hätte ich nicht erwartet. Seine "Sauerstoffphobie" kann man nun
getrost als geheilt betrachten. Vielleicht gibt es später mal
einen Orden für die Ağva–Bezwingung,
wie er schon einige bei der Bekämpfung der Elbeflut 2002
verliehen bekommen hat, aber so ist das halt mit Orden, wie mit
Bomben – sie treffen immer die Unschuldigen.

Ende dritter
Teil, hätte auch anders ausgehen können.

Epilog:

Noch etliche
Tage plagen uns Schrammen und Blasen an den Füßen. Der sich
einstellende Muskelkater gibt uns mehr als ein unangenehmes
Gefühl für vorher nie gespürte Muskelpartien. Nun, einige Tage
später, kommt neben dem Stolz doch auch der Realitätssinn
zurück. Zur Nachahmung kann die komplette Tour, wenn überhaupt,
nur trainierten unerschrockenen Naturen empfohlen werden. Neben
der genannten Ausrüstung, sollte man mindestens drei Liter
Trinkwasser pro Person mitnehmen. Natürlich nix für
Pauschaltouristen wie "klein Erna" aus Wanne-Eickel!

Es hat sich
wieder einmal gezeigt, dass man hier viel mehr als Meer und
Sonne erleben kann und dass sich der Ağva-Canyon
nicht hinter dem von Göynük zu
verstecken braucht, ein echtes Naturwunder! Die Vielfalt und
gleichzeitig betörende Einzigartigkeit dieser Landschaft ist es,
die uns immer wieder neu in ihren Bann zieht und unsere Wahl
hier zu leben
bestätigt. |